GASTKOMMENTAR

Florian Hamader studiert Politikwissenschaft an der Universität Wien mit Fokus auf Strategie, Geopolitik und Geoeconomics. – © privat

75 Jahre Frieden in Westeuropa haben ihre Spuren hinterlassen. Es gilt einige Grundsatzfragen zu klären.

Reale Feinde wären weitaus gefährlicher als hier bei einer Übung.© apa/Bundesheer/Bernier Danielle

Lebhaft wird in jüngster Zeit über die Zukunft des Österreichischen Bundesheeres diskutiert. Deutlich wird dabei, dass der Debatte das Fundament fehlt, was sich auch am Wankelmut der Ministerin zeigt. 75 Jahre Frieden in Westeuropa haben ihre Spuren hinterlassen. Die Politik betreibt eine krampfhafte Nabelschau, wonach alles jenseits der Grenzen Österreichs nicht existiert. Die Wissenschaft hat ihrerseits auf das Machtmittel Militär vergessen, wie aktuelle Konzepte zeigen, und auch die Medien arbeiten sich lieber an Skandalen ab, anstatt das Politikfeld Verteidigung mit Expertise zu würdigen. In dieser Gemengelage verfangen politische Sophismen, die Debatte um das Bundesheer wird somit nie aufrichtig geführt und folgt allein dem Ziel: möglichst billig.

In der Debatte ist jüngst oft die Frage der Wahrscheinlichkeit aufgekommen. Angriffe auf Österreich seien unwahrscheinlich, heißt es, daher könne man sich auch ein schlankes – und vor allem billiges – Bundesheer erlauben. Festzuhalten ist jedoch, dass Wahrscheinlichkeit schlichtweg keine Kategorie ist in der Verteidigungspolitik. Egal wie niedrig die Wahrscheinlichkeit für ein Szenario auch sein mag – einmal danebengelegen, und die Konsequenzen sind buchstäblich todernst. Wahrscheinlichkeit als Politik nach dem Prinzip Hoffnung – das ist quasi ein Gang ins weltpolitische Casino. Doch mit der Sicherheit der Republik zockt man nicht.

Trotzdem baut man in Österreich weiterhin auf die Neutralität. Welchen Schutz bietet sie tatsächlich? Es hilft ein Blick nach Belgien. Obwohl neutral, wurde es in beiden Weltkriegen überrannt. Warum? Einfach weil es aus militärischer Sicht opportun war. Der Preis eines jeden Krieges ist absolut; Sieg oder Niederlage, Leben oder Tod. Hat man entweder alles zu gewinnen oder alles zu verlieren, lässt man sich weder von Neutralität noch von einem UNO-Sitz aufhalten. Und so würde auch Österreich als wichtiger Knotenpunkt im Zentrum Europas ein ähnliches Schicksal ereilen. Das krampfhafte Festhalten an der Neutralität ist intellektueller Faulheit geschuldet und nichts weiter als angestaubte Folklore.

Verteidigung neu
und breiter denken

Erst kürzlich wurde in der absurd anmutenden „Vision Landesverteidigung 2020“ aus dem Kabinett der Ministerin ein Schutz durch die Nato unterstellt. Ist dieser tatsächlich gegeben? Relevanz bekäme er in einer Konfrontation mit Europas militärischem Hauptgegner Russland. Hier muss man sich jedoch ernsthaft die Frage stellen, ob man Österreich einmal in die eine Richtung und dann in die andere verheert sehen möchte. Was uns gleich zur nächsten Grundsatzfrage bringt: Ist Landesverteidigung im klassisch-österreichischen Verständnis noch zeitgemäß?

Es gilt, sich auch unbequemen Wahrheiten zu stellen: Einen Krieg ficht man nicht auf eigenem Grund und Boden aus – man trägt ihn tunlichst zum Feind. Kämpft man auf eigenem Gebiet, hat man zwangsläufig Opfer unter der Zivilbevölkerung zu beklagen, dies zu verhindern aber wäre genau der eigentliche Zweck eines Militärs. Architektur- und kulturhistorisches Erbe des Landes würde zerstört, ebenso Infrastruktur und Wirtschaftsbetriebe. Ohne wirtschaftlichen Output sieht man sich jedoch rasch der Fähigkeit zur Kriegsführung beraubt, was unweigerlich die Niederlage bedeutet.

Für Österreich bedeutet das, Verteidigung neu und breiter zu denken. Wir müssen uns verabschieden von einem verstaubten Milizsystem, dessen Daseinsberechtigung zu Zeiten der Massenheere vergangener Jahrhunderte bestand. Um die Republik wirksam zu schützen, muss die Verteidigung des Landes jenseits unserer Grenzen stattfinden, im Verbund mit EU- und Nato-Partnern. Mit ein bisschen Katastrophenschutz, Logistik, ABC-Abwehr und „Cyber“ wird es jedenfalls nicht getan sein.

Die obsolete
Sicherheitsstrategie

Eines der Grundübel unserer Verteidigungspolitik liegt in der Österreichischen Sicherheitsstrategie begraben. Von der Politik abwärts berufen sich auch Wissenschaft und Medien darauf. Dort heißt es: „Konventionelle Angriffe gegen Österreich sind auf absehbare Zeit unwahrscheinlich geworden.“ 2013 entstanden, fußt die Sicherheitsstrategie auf einem Bericht aus dem Jahr 2011. Sie ist somit fast eine Dekade alt und kann daher getrost als überholt bezeichnet werden, hat sich die geopolitische Lage seither doch grundlegend verändert.

2014 wurde mit der Annexion der Krim durch Russland der Krieg nach Europa hereingetragen. In den bis heute andauernden Kampfhandlungen im Donbass kamen bisher mehr als 13.000 Menschen ums Leben. Mit den „Nachtwölfen“ gibt es zudem eine kampfbereite Diaspora, die weniger als zwei Autostunden von Wien entfernt in der Slowakei ein paramilitärisches Trainingszentrum eingerichtet hat – inklusive Panzer. Ein jüngst vom russischen Präsidenten Wladimir Putin selbst verfasster Essay nährt ebenfalls nicht unbedingt die Hoffnung auf eine gedeihliche Nachbarschaft. Dank des militärischen Engagements Russlands in Syrien und Libyen verfügt Putin zudem über ein ständiges Erpressungspotenzial gegenüber Europa. Über ein Aufflammen der Kämpfe ließen sich Flüchtlingsströme jederzeit verstärken.

Gleichfalls ab 2014 schickte sich die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) an, neben Syrien auch weite Teile Europas – einschließlich Österreich – zu erobern. Was wäre wohl gewesen, hätten alle Staaten zwischen Syrien und Österreich einen derart realitätsfernen Zugang zur Verteidigungspolitik? Am Balkan werden offen Grenzverschiebungen diskutiert, es wird aufgerüstet, und von Russland über China bis zu den USA geben die Großmächte einander die Klinke in die Hand. Auch unser Nachbar Ungarn investiert kräftig in das Militär und kauft Rüstungsbetriebe wie das österreichische Unternehmen Hirtenberger. Premier Viktor Orban hegt zudem revisionistische Träume eines Großungarn und wird so immer mehr zum unsicheren Kantonisten, der sich europäischen Werten wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht allzu sehr verpflichtet fühlt. Woher nehmen wir die Gewissheit, wir wären – dauerhaft – von Freunden umgeben?

Die Gefahr für militärische Konflikte steigt

Diese Mischung aus autokratischem Revisionismus und Expansionismus, interner und externer Schwäche der Europäischen Union und einem damit einhergehenden Attraktivitätsverlust der EU in unserer unmittelbaren Nachbarschaft lässt die Gefahr für militärische Konflikte steigen. Das Bundesheer als Garant österreichischer Sicherheit ist daher relevanter denn je. Vor diesem Hintergrund erscheint die Österreichische Sicherheitsstrategie hoffnungslos veraltet. Eine Neufassung ist unerlässlich.

Doch nicht nur mangelndes Verständnis von Krieg und Frieden oder die obsolete Sicherheitsstrategie haben sich zum Problem ausgewachsen. Auch der Nationale Sicherheitsrat wird den Anforderungen einer solchen Institution nicht gerecht. Anstatt Expertise zu versammeln, dient er vielmehr als politische Spielwiese und verfehlt so seinen Zweck. Wollen wir den Frieden in Europa auch für die nächsten 75 Jahre sichern, gilt es, die Verteidigung von Grund auf neu zu denken. Es gibt keine Sicherheit für die Wehrlosen.